Bruno Johannsson über
Rainer Graumann (2022): Welten ohne Zahl,
LDS Books, Freilassing
Grundlage des Buches ist eine Überzeugung des Autors, mit der er im weltweiten Wissenschaftsbetrieb – die HLT-geprägten Hochschulen vielleicht ausgenommen – weitgehend allein steht: Insoweit Widersprüche zwischen Naturwissenschaft und Religion existieren, beruhen sie auf einem Mangel an Wissen (vgl. Vorwort). Daraus folgt: Bei einer widersprüchlichen Aussage irrt entweder die Naturwissenschaft und/oder die Religion bzw. deren Theologie.
Folgerichtig nimmt Graumann insbesondere die Aussagen von Joseph Smith jr. wissenschaftlich ernst, worin er sich in der Nachfolge von John A. Widtsoes Buch „Joseph Smith as a Scientist“ (1908) bewegt. Er widmet Joseph Smith das gesamte 2. Kapitel. In den folgenden 10 Kapiteln inkl. der Zusammenfassung stellt Graumann anschaulich den aktuellen Erkenntnisstand der Astronomie den theologischen Aussagen insbesondere neuzeitlicher Offenbarung gegenüber. Dies geschieht auch besonders übersichtlich in den Anhängen 1 und 2. Es fällt auf, dass in Anhang 1 keine einzige Bibelstelle vorkommt,
Bei einzelnen Statements und Schlussfolgerungen Graumanns besteht natürlicherweise Diskussionsbedarf, dessen Befriedigung einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Ich beschränke mich deshalb darauf, auf ein grundlegendes wissenschaftstheoretisches Problem zu verweisen, das auch die Komplexität der Sachverhalte verdeutlicht: Auf Seiten der Naturwissenschaft bedarf es in jedem Einzelfall eines Urteils über die Validität der jeweiligen Aussage bzw. Hypothese. Insbesondere Möglichkeit und Stand der Falsifizierung nach Karl R. Popper, dem österreichischen Philosophen, wären zu prüfen. Möglicherweise gibt es auch innerhalb der Naturwissenschaft durchaus geteilte Meinungen zu einzelnen Sachverhalten. Auf Seiten der Theologie stellt sich die Frage der Überlieferung, Übersetzung, Auslegung und relativen Bedeutung der jeweiligen Schriftstellen bzw. Statements von Generalautoritäten. Als Beispiel möchte ich die Offenbarung anführen, die Lorenzo Snow 1840 erhalten und die von Joseph Smith im persönlichen Gespräch und dann in seiner King-Follet-Ansprache 1844 deutlich bestätigt wurde: „Wie der Mensch jetzt ist, war Gott einst. Wie Gott jetzt ist, kann der Mensch werden.“ Wenn man sie ernst nimmt, ist sie revolutionär und von außerordentlicher kosmologischer Bedeutung (vgl. Bruno Johannsson (2017): Jahrhunderte nach Luther, Twenty Six, Norderstedt, S. 30-31, S. 153 ff.). In den Ausführungen Graumanns spielt sie keine bedeutende Rolle.
Den oben dargestellten Verfeinerungen der Analyse kann man unmöglich innerhalb eines Buches gerecht werden. Es wäre eine bedeutende Aufgabe für einen Lehrstuhl an der BYU. Er wäre Jahre lang damit ausgelastet. Umso wertvoller ist die vorliegende Übersicht über die möglichen Problemstellungen und -lösungen, die Graumann allgemein verständlich für ein breiteres HLT-Publikum anbietet.
Mit obigen Überzeugungen kirchenintern zu publizieren erfordert schon ein beträchtliches Maß an Mut. Mir ist außer Widtsoe momentan kein Autor bekannt, der diesen Mut aufgebracht hätte.
Das Buch ist ein außerordentlich wertvoller Beitrag zur HLT-Kultur im deutschsprachigen Raum. Wir danken LDSBOOKS&N für den Mut zu dieser auch optisch aufwendigen Publikation. Wir hatten sie von Anfang an auf unserer Plattform www.omega-media.net unterstützt und vertiefen jetzt die Diskussion wie geplant durch bis jetzt drei Kommentare. Weitere Kommentare sind willkommen, zumal inzwischen mehrere Vorträge bzw. Zoom-Meetings mit Rainer Graumann auf ein erhebliches Interesse gestoßen sind.
Ich hoffe, dass es in den nächsten Jahren zu einer intensiven Diskussion über einzelne Thesen kommt. Als Medien bieten sich Zoom-Meetings oder Blogs an. Für letztere steht die HLT-Kultur-Plattform www.omega-media.net selbstverständlich zur Verfügung.
Thea Johannsson über
Rainer Graumann (2022): Welten ohne Zahl, LDS Books, Freilassing
Ein erklärtes Ziel des Autors ist es, das Werk von John A. Widtsoe „Joseph Smith as Scientist“ von 1908 fortzuführen, da die Wissenschaft sich „während der letzten 100 Jahre in einem geradezu atemberaubenden Tempo“ weiterentwickelt hat. Sind die Offenbarungen von Joseph Smith, die naturwissenschaftliche Fragen tangieren, inzwischen überholt oder werden sie von der modernen Forschung eher gestützt. Am übersichtlichsten und sehr komprimiert findet man Antworten zu dieser Frage in Anhang 1. Dort werden offenbarte Aussagen des HLT-Propheten den vorherherrschenden wissenschaftlichen Ansichten seiner Zeit sowie den modernen Erkenntnissen gegenübergestellt. Dabei spielt für den Autor eine große Rolle, dass schon in der Köstlichen Perle davon die Rede ist, dass Gott „Welten ohne Zahl“ geschaffen hat und dass all diese Welten auch vergänglich sind. Das entsprach nicht dem wissenschaftlichen Standpunkt seiner Zeit, ist aber heute anerkannte Lehrmeinung. Bei den übrigen Punkten scheint es mir eine Definitionsfrage zu sein, ob die Offenbarungsaussagen eher die zeitgenössischen oder die heutigen wissenschaftlichen Aussagen stützen, vor allem bei der Frage einer Schaffung aus dem Nichts. Auch deren Verfechter betrachten die Urknalltheorie als Bestätigung.
Ein wichtiger Punkt ist für den Autor auch die Bedeutung des Lichts im Weltbild der modernen Physik und dessen häufige Betonung sowohl in den Heiligen Schriften der Heiligen der Letzten Tage wie in der Bibel. Dabei setzt aber auch er das physikalische Licht und das „Licht Christi“ nicht gleich.
Wer in der modernen Physik und Astronomie nicht zu Hause ist, wird sich wohl nicht auf die komprimierte Fassung des Anhangs beschränken können, sondern besser die Ausführungen im Text lesen. Ich meine der Autor ist seinem Vorsatz gerecht geworden „die wichtigsten Punkte der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ so zu beschreiben, „dass sie ohne spezielle Vorkenntnisse nachvoll-zogen werden können“. Deshalb kann man dieses Buch auch als interessante Einführung in den modernen Stand der Physik und Astronomie lesen. Zwar hat das Verständnis mir trotz akademischer Vorbildung - allerdings nicht im naturwissenschaftlichen Bereich - etwas Mühe gemacht. Doch das scheint mir nicht am Unvermögen zur Formulierung zu liegen, sondern an der Materie, die sich in manchen Bereichen eben nicht mit Bildern aus unserem Erfahrungsbereich illustrieren lässt, sondern wohl nur Mathematikern wirklich zugänglich ist. Angenehm fand ich, dass zu den präsentierten wissenschaftlichen Aussagen auch immer Hinweise auf die Methoden kommen, die man zu ihrer Gewinnung nutzte.
Wo immer es solche validierte wissenschaftliche Aussagen gibt, sind sie für den Autor feste Daten, in deren Licht er religiöse Aussagen interpretiert. Andererseits ist es offensichtlich, dass solche Aussagen für ihn ebenso gesicherte Erkenntnisquellen sind, so dass er sie im Text als Zusammenschau munter mischt. Das passt zwar zu seiner Meinung, dass es keinen Konflikt gibt zwischen Wissenschaft und Religion und dass Kenntnisse der Natur uns die Größe Gottes nur noch deutlicher vor Augen führen. Doch dies wird eigentlich in diesem Buch nicht bewiesen, sondern vor-ausgesetzt. Es wurde geschrieben, um die schon Gläubigen mit der Begeisterung des Autors für die Größe von Gottes Schöpfung anzustecken und ihnen eine etwaige Angst vor einer Berührung mit der Wissenschaft zu nehmen.
Herbert Bruder
Rezension zu Rainer Graumann (2022): Welten ohne Zahl, LDS Books, Freilassing
Das Buch ‚Welten ohne Zahl‘ spannt einen weiten Bogen über die Kosmologie und Elementarteilchenphysik des 20./21. Jahrhunderts. Die Idee ist, die von dem Philosophen und späteren Apostel Dr. John A. Widtsoe in dem Buch ‚Joseph Smith As Scientist‘ 1908 entwickelten These, dass Joseph Smith wichtige Entdeckungen der modernen Wissenschaft vorwegnahm, anhand der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bestätigen.
Dabei wird auf elegante – für den Laien verständliche Weise - ein Bogen über die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Kosmologie und der Elementarteilchenphysik gespannt. Der Leser erhält einen umfangreichen Überblick über das sogenannte Kosmologische Standardmodell der modernen Physik. Das Wort Modell ist hier nicht optimal, denn die kosmologischen Theorien des 21. Jhrd. sind sehr ausgereift, da sie weitestgehend durch Beobachtungen mit hochmodernen Teleskopen gestützt werden.
Streng betrachtet, beginnen die Schöpfungen Gottes bei der Entstehung unseres Universums. Alles Nachfolgende inclusive der Entstehung unseres Sonnensystems gehorcht dem Automatismus der Evolution des Kosmos gemäß den existierenden Naturgesetzen. Es sei darauf hingewiesen, dass auch ohne religiöse Kenntnisse das Wesen des Universums einen Schöpfer nahelegt (siehe H. Bruder ‚Grenzfragen zur Evolution des Kosmos und zur Biologischen Evolution‘, Schlosser Verlag München, 2021 ISBN 978-3-96200-460-6). Br. Graumann führt diesen Aspekt an der Stelle aus, wo die Feinabstimmung der Naturkonstanten adressiert wird, ein bislang in der Physik ungelöstes Problem. Dabei geht es darum, dass verschiedene Konstanten der Natur in ihrem Wert exakt festgeschrieben sein müssen, da ansonsten Leben, so wie wir es können, nicht möglich wäre, oder im schlimmsten Fall das Universum gar nicht existieren könnte. Evolutionäre Prinzipien sind auch der Entstehung des biologischen Lebens auferlegt, was heute durch die bahnbrechenden Entdeckungen in der Molekularbiologie unstrittig ist.
Von Apostel Neal A. Maxwell stammt das folgende Zitat:
‚Für diejenigen die Augen haben zu sehen, und Ohren, die hören, ist es offenkundig, dass der Vater und der Sohn die Geheimnisse des Universums preisgeben‘.
Ich vermute, dass sich diese Aussage vornehmlich auf Geheimnisse der Naturgesetzlichkeiten bezieht.
Wie in dem Buch ‚Welten ohne Zahl‘ ausführlich dargelegt, hat der Prophet Joseph Smith in jungen Jahren ohne nennenswerte Schulbildung weitreichende Offenbarungen über naturgesetzliche Grundgesetze erhalten. Diese Offenbarungen, z.B.
‚die Elemente sind ewig‘
‚es gibt keine Schöpfung aus dem Nichts‘
‚Materie und Energie kann nicht erschaffen werden, sie ist unzerstörbar und ewig‘
‚die Zeit ist den Menschen gegeben‘
‚es existieren Welten ohne Zahl‘
sind wegweisend, aber sehr allgemein gehalten. Allein aus diesen Aussagen wäre es für einen Naturwissenschaftler nicht einfach Naturgesetze (z.B. mathematisch) abzuleiten. Tatsächlich bedarf es noch der sogenannten ‚wissenschaftlichen Methode‘, um das Wesen der Natur zu entschlüsseln, und in eine Sprache zu übersetzen, die auch praktischen Nutzen findet, z.B. in technologischen Entwicklungen.
Interessant ist, dass die an Joseph Smith ergangenen Offenbarungen und die neuzeitlichen Entdeckungen der Naturwissenschaft nahezu zeitgleich geschehen sind. Das zeigt, dass Gott zugunsten des Menschen erneut das Licht der Erkenntnis in die Welt gebracht hat. Ein Blick in
die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass z.B. bei der Entwicklung der Quantenphysik zu Beginn des 20. Jahrhunderts atemberaubende Entdeckungen in ungewöhnlich kurzer Zeit gefunden wurden.
Vielleicht ist es immer wichtig zu trennen, dass die Aufgaben der Propheten und der Naturwissenschaftler sich kaum überdecken. Das Instrument eines Propheten ist die Offenbarung; tiefgründe Erforschung der Naturgesetze und den möglichen Nutzen für die Menschheit aufzudecken, obliegt dem Naturwissenschaftler, der die geeigneten Instrumente zur Wahrheitsfindung besitzt, aber zuweilen auch auf Inspiration angewiesen ist.
Ein besonderer Stellenwert in Dr. Graumann’s Buch hat das abschließende Kapitel 10.
Dort wird die schwierige Frage aufgegriffen, wie Gottes Vorherwissen mit der Entscheidungsfreiheit des Menschen in Einklang gebracht werden kann. Dazu muss man wissen, dass die Zeit nur dem Menschen gegeben ist und nur in unserem irdischen Dasein in unserem Universum eine Rolle spielt.
Im Reich Gottes dagegen gibt es keine Zeit. Das ist für uns keinesfalls vorstellbar, da damit der Verlust der Kausalität einhergeht. Sobald Ereignisse kausal geschehen, lässt sich nämlich eine Zeitordnung definieren. Andererseits muss aber gelten, dass das Reich Gottes ein Reich der Ordnung ist.
Wenn wir akzeptieren, dass bei Gott keine Zeit vergeht, so wird er die Geschehnisse des irdischen Werdegangs eines Menschen – obwohl jede Entscheidung für sich aufgrund der Entscheidungsfreiheit ein zufälliges Ereignis sein mag – in einem ‚Augenblick‘ wahrnehmen. Unser Leben liegt also wie ein offenes Buch vor ihm. Es würde den Rahmen dieses Kommentars übersteigen, diese Thematik zu vertiefen. Es scheint, dass hier weitere Offenbarungen gegeben werden müssen, um uns mehr Licht und Wahrheit zu bringen.
Wir sollten auch geduldig die Schriftstelle in Jesaja, Kapitel 55 im Blick behalten:
‚Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken / und eure Wege sind nicht meine Wege - / Spruch des HERRN. 9 So hoch der Himmel über der Erde ist, / so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege / und meine Gedanken über eure Gedanken.
Dr. Herbert Bruder
Physiker